A. Einführung
Es gibt insbesondere, wie mir scheint, in Deutschland immer wieder Lehrer, Sprachschulbetreiber und leider auch Schüler, wenngleich eher selten, die verlangen, daß im Unterricht für Deutsch als Fremdsprache (im Folgenden auch „DaF-Unterricht“) nur Deutsch gesprochen werden dürfe. Manche wollen, auch in Anfängerkursen, am liebsten gar keine andere Sprache erlauben, andere allenfalls gelegentliche einzelne Wörter.1
Dem soll hier eine offenere und situations- und allen Beteiligten angemessenere Perspektive gegenübergestellt werden.
Ausgangspunkt beim Schreiben war für mich eine E-Mail, bei deren Verfassen ich mich inspiriert gefühlt hatte. Ihren Inhalt wollte ich gerne mit meinen Lesern teilen, und ihr Kerninhalt spiegelt sich vor allem in Teil B dieses Artikels wider. Die übrigen Abschnitte ergaben sich dann eher in der Reflexion über weitere Möglichkeiten der Apologie der Freiheit und die praktische Umsetzung eines undogmatischen Ansatzes.
B. Wider das Dogma
Es steht außer Frage, daß man natürlich im Fremdsprachenunterricht bestrebt sein sollte, mehr und mehr und, soweit möglich, auch durchaus irgendwann möglichst ausschließlich, die Fremdsprache zu gebrauchen. Es ist gut, einem Schüler zu zeigen, wenn er schon in der Lage ist, Fragen auf Deutsch zu stellen und Erklärungen auf Deutsch zu verstehen. Es ist in Ordnung, wenn ein Schüler für den Augenblick nicht alles versteht, was ein Lehrer sagt, auch wenn der Lehrer dafür Sorge zu tragen hat, daß der Schüler für sein Lernen Essenzielles begreift und in jedem Falle sich nichts Falsches merkt. Und wann immer Lehrer und Schüler darin übereinstimmen, sogar ausschließlich Deutsch verwenden zu wollen, ist das ebenfalls insoweit in Ordnung.
Aber ein Dogma, ausschließlich die unterrichtete Sprache zu gebrauchen sei gestattet, ist in verschiedener Hinsicht hochproblematisch.
Es ist zwar zumindest ab einem gewissen Grundwissen möglich (und auch zuvor, nur der Preis wird sehr oft (dann fehlende) Exaktheit des Gelehrten oder Verstandenen sein, insbesondere dann, wenn die Schüler nicht adäquat vor- oder nachbereiten – aber schon da beginnen ja die Probleme: Wenn ein Schüler noch keinerlei Erfahrung im Sprachunterricht oder vielleicht überhaupt gute Lernerfahrung hat, wie sollte er das dann wissen, wenn man es ihm nicht in einer Sprache, die er versteht, mitteilen darf?).
Unser (sehr guter) japanischer Grammatiklehrer hat es uns am Zentrum für japanische Sprache der Universität Tübingen in Kyôto vorgemacht. Aber man muß bedenken: Das war nach einem Intensivkurs von einem halben Jahr. Also nicht für absolute Anfänger. Und wir hatten immer noch die Möglichkeit, in einer zweiten Grammatikstunde ein oder zwei Tage später unsere deutsche Grammatiklehrerin zu fragen.
Ein Verbot des Gebrauches anderer Sprachen ist m. E. als an alle Lehrer gestelltes Erfordernis künstlich. Wer es wirklich möchte, sollte reineinsprachig unterrichten dürfen, aber es allen aufzuoktroyieren, halte ich für nicht geraten. Denn es kommt jeweils auf den Lehrer an, ob es für ihn natürlich ist oder nicht, und man sollte bedenken: guter Unterricht hat alle Teilnehmer zu berücksichtigen, und dazu gehört auch der Lehrer. Guter Unterricht kann optimal eigentlich nur zustandekommen, wenn es ein Zusammenfinden auf der Basis eigener Authentizität auf allen Seiten ist, zumal, wenn man alle vorhandenen Sprachen, etwa, weil man sie selbst beherrscht oder eben mit Hilfe von Google Translate oder Deepl, berücksichtigen würde. Was man sagt, wie man es sagt und auf welche Weise (und das schließt die Sprache mit ein), das ergibt sich in und aus der Konstellation in jedem einzelnen Augenblick, und sowie man ein Dogma aufstellt wie „Unterricht hat so und so zu sein“, ist es schon nicht mehr möglich, dieses Optimum immer und uneingeschränkt geschehen zu lassen.
Wir alle sind Menschen, die sich auszudrücken versuchen, so gut es geht, und das mit den zur Verfügung stehenden Mitteln. Menschen, die eine gemeinsame Sprache sprechen oder finden können, diese Möglichkeit aus Prinzip, um eines Dogmas willen, zu beschränken, halte ich für keinen klugen Weg, der sicherlich seinen Preis hat. Dieser Preis ist der natürliche Fluß. Allerdings kann ein starker Strom auch um Barrieren [Verbotsschilder] herumfließen – nur bedeutet das eben, daß es da ein paar Wirbel geben mag und es dem Wasser dann nicht ganz so einfach gemacht wird.
Als jemand, dem Kreativität und das Fließen von Ideen und Sprache sehr viel bedeutet (vgl. z. B. diese und diese meiner Websites) komme ich nicht umhin, diesen Effekt empfindlich wahrzunehmen. Es wirkt, als stellte man etwas vor sein Herz.
C. Sollte man dennoch Konzessionen an dogmatisch Ansetzende machen?
Jede Konzession an das Dogma schränkt die eigene Freiheit ein und ist potentiell auch zum Schaden der Schüler. Wenn Unterricht letztlich ein Fluß ist, dann bedeutet jede Konzession durch eine Selbstsetzung von Grenzen eine Behinderung. Der Unterricht kann nicht mehr wirklich optimal verlaufen.
I. Generelle Erwägungen
1. Erforderlich, weil sonst ungerecht?
a. Keine Ungerechtigkeit, sondern Mitgefühl und Solidarität
Mitunter wird vorgebracht, wenn man im Unterricht eine Fremdsprache, z. B. Englisch, verwende, so könnten das nicht alle Schüler gleich gut, manche auch gar nicht. Daher sei es ungerecht, so eine Sprache zu verwenden.
Aber zum einen ist es gar nicht gesagt, daß es im konkreten Falle so wäre, und „nicht gleich gut“ bedeutet noch nicht, daß man sich nicht adäquat verständlich machen kann. Und wenn ein Schüler kein Englisch kann, ist ja nicht ausgeschlossen, daß der Lehrer eine andere Sprache beherrscht, die jener Schüler spricht.
Aber auch wenn dies nicht der Fall wäre: Wäre es recht, demjenigen, dem man (mehr) Wissen vermitteln kann, dieses zu versagen, weil man dies beim anderen nicht kann? Nein, da wäre es nicht. Die Menschen haben unterschiedliche Veranlagungen und Fähigkeiten, und ein guter Lehrer wird nicht den Stoff, den er vermitteln kann, einschränken, nur weil der ein oder andere es nicht versteht. Er hat natürlich darauf zu achten, auch jenem alles zu vermitteln, was er kann. Aber es besteht kein Recht auf Nivellierung auf der Basis des „kleinsten gemeinsamen Nenners“. Diese Idee mag nach Jahrzehnten falsch verstandenen Egalitarismus ja in manchen Köpfen sein, aber richtig wird sie dadurch nicht. Jeder ist idealerweise optimal gemäß seinen Fähigkeiten zu fördern. Für eine gute Klassengemeinschaft ist erforderlich, daß die Schüler bereit sind, auf den anderen Rücksicht zu nehmen – aber nicht in der Einschränkung, sondern indem alle einander den Raum gestatten, sich optimal zu entfalten. Dies sollte man als Lehrer schlichtweg von einer Gruppe erwarten. Man kann durch geeignete Maßnahmen versuchen, negative Gefühle abzufangen. Vielleicht benötigt oder erhält dann jener, der kein Englisch spricht, in einem andere Falle mehr Zuwendung. Wenn man darauf achtet, so gut man kann, nicht den Anschein von Ungerechtigkeit zu bewirken, dann sollt man sich nicht abhalten lassen, allen das mögliche und jeweils adäquate Maximum an Wissen zu vermitteln.
Vor allem aber gibt es heute mit Google Translate und Deepl zwei Werkzeuge, mit denen man von vornherein dem Vorwurf der Ungerechtigkeit entgehen kann.
b. Praktische Möglichkeiten
Im Online-Unterricht ist es gar kein Problem, die Erklärung auf Deutsch selber in Goolge Translate oder Deepl einzugeben. Während z. B. jemand, der kein Englisch spricht, die Erklärung in seiner Sprache ließt, kann man die Erklärung zugleich mündlich auf Englisch liefern. Danach kann man in eine andere Sprache wechseln, wenn es weitere zu berücksichtigende Sprachen gibt. (Die verbleibende Möglichkeit, daß ein Schüler es für unfair hielte, daß die Englisch Verstehenden es immer mündlich erläutert bekämen, er es aber immer lesen müsse, halte ich für nicht nur sehr weit hergeholt, sondern würde ich auch als etwas sehen, womit der betreffende Schüler einfach zu leben hat aus einem Minimum an Rücksichtnahme auf seine Mitschüler. Spricht der Lehrer mehrere Sprachen, kann er i. ü. ja auch einmal die mündliche Erläuterung in der einen, dann wieder in der anderen geben oder natürlich in beiden.)
Aber auch im Unterricht vor Ort läßt sich das heute so gestalten. Der Lehrer kann sein Notebook mitbringen und, falls die Schule keinen zur Verfügung stellt, einen Miniprojektor und so die automatischen Übersetzungen an die Wand projizieren.
Sollten in einer großen Klasse ganz ausgesprochen viele Nationen vertreten sein, so daß nicht mehr allen alles direkt oder indirekt (mitunter kann man zuverlässige Schüler mit guten Sprachkenntnissen bitten, für Mitschüler in eine gemeinsame Sprache zu übersetzen) mit ein bis zwei Fremdsprachen vermittelt werden kann, ließe sich die deutsche Erklärung auch im Onlineunterricht in den Chat oder ein für alle zeitecht lesbares Dokument (z. B. via eine DSGVO-konform gestaltete Nextcloud oder eine andere DSGVO-konforme andere Plattform) Dokument posten, so daß die Schüler dann selber die Übersetzung durchführen lassen könnten. Etwas schwieriger gestaltet sich das u. U. im Unterricht vor Ort. Hier kommt es ganz auf die Situation an. Wenn man, was sich manchmal an weiterführende Schulen machen läßt, in einem Computerlabor arbeitet, ist es kein Problem. Auch an Sprachschulen kann es für die Schüler zugängliche Räume mit Computern geben, allerdings mag dies nicht stets so sein. In diesen Falle besteht aber die Möglichkeit, die Erklärung entweder zu vertagen und sie später den Schülern auszudrucken und / oder vielleicht auch zuzumailen oder sie an di Tafel zu schreiben, das ganze zugleich als Schreibübung zu betrachten und die Schüler das abschreiben zu lassen, so daß sie es später zu Hause selbst übersetzen können. Letztlich ist dies eine Frage des Einzelfalles, insbesondere in dem heutzutage eher unwahrscheinlichen Fall, daß gar kein Internetanschluß bei den Schülern vorhanden sein sollte. In so einem Fall kann man dann anbieten, das mit dem Schüler zusammen nach dem Unterricht am eigenen Computer zu erledigen oder aber auf eventuelle kostenlose Internetzugänge, Computer mit Intenetzugängen und Arbeitsräume in öffentlichen Bibliotheken zu verweisen.
2. Um Verwirrung bei den Schülern zu vermeiden?
Wenn man in einer Klasse mit Angehörigen verschiedener Nationen unterrichtet, kann es vorkommen, daß sich ein oder mehrere Schüler darüber beschweren, sie verstünden die Sprache nicht (dazu bereits 1.) und / oder der Gebrauch einer anderen Sprache als Deutsch würde sie verwirren.
Hier ist zunächst zu schauen, ob nicht der wahr Grund einfach nur ist, daß sie die betreffende Sprache nicht verstehen, und ob sie es nicht tatsächlich völlig in Ordnung fänden, die Erklärung in ihrer eigenen Sprache zu erhalten. Hier gilt wieder das unter 1. Gesagte.
Wenn es aber tatsächlich der Gebrauch einer zweiten Sprache wäre, der sie irritierte, dann wäre das Folgende zu beachten:
Der Wechsel zwischen zwei Sprachen wird auch als „Code-Switching“ bezeichnet.
Bei Mehrsprachigen (z. B. Kindern, die Elternteile mit verschiedenen Muttersprachen haben oder in einem fremden Land leben, aber auch in mehrsprachigen Gesellschaften) ist dies als ein natürliches Phänomen immer wieder zu beobachten.
Code-Switching wurde erst relativ spät ausführlicher erforscht, weil man es länger als ein nicht untersuchenswertes Zeichen mangelhafter Sprachkompetenz gesehen hatte.2
Heute dagegen können wir – unbeschadet der Frage der stilistischen Angemessenheit – darin eine Fähigkeit erkennen, sich auf unterschiedliche Gesprächsweisen einzustellen und möglichst adäquat mit der jeweiligen Kommunikationssituation umzugehen. Interessanterweise fand es sich schon im 16. Jahrhundert unter Intellektuellen beim Wechsel in das Lateinische auch als ein typisches Phänomen unter Gelehrten.3
Entsprechend läßt es sich gut vertreten, in so einem Falle zu erklären, daß dies ein Teil des Sprachunterrichts sei. In der Tat wird ja der Schüler irgendwann in eine Situation geraten, in der er z. B. in seinem Land „plötzlich“ die Fremdsprache (oder aber in der Fremde seine Muttersprache) sprechen muß. Dann muß er „switchen“. Das kann schwierig sein. (Als ich bei meiner ersten Stelle in Japan in einem japanischen Rathaus plötzlich einen Anruf auf Spanisch erhielt, bekam ich es z. B. zwar noch halbwegs hin, irgendwie einigermaßen adäquat zu reagieren, aber als ich dann auflegte, war ich erst einmal nicht mehr in der Lage, wieder ins Japanische umzuschalten, es dauerte dann eine kleine Weile.) Aber auch für solche Situationen zu trainieren kann als Teil eines realitätsbezogenen Fremdsprachenunterrichtes betrachtet werden. Daß es für den Schüler unbequem oder irritierend ist? Das mag sein. Aber das Erlernen einer Fremdsprache erfordert so oder so Arbeit, nicht immer wird alles als bequem oder einfach empfunden, und auch der Konjunktiv II oder der Ersatzinfinitiv werden den Schüler vielleicht später einmal „irritieren“. Sollte man diese dann deshalb nicht zum Unterrichtsgegenstand machen? Per aspera ad astra… Wenn man auch gleich zu den Sternen kann, um so besser – wohl dem Lehrer, der seinen Schülern das Fliegen leicht macht. Aber eine Sprache zu lernen, erfordert nun einmal auch Einsatz.
Nun mag man auf die Idee kommen, auf diese Weise laufe man Gefahr, ohne im Rahmen dieser kurzen Betrachtung näher darauf eingehen zu wollen, „Interferenzen“4 zu begünstigen. Aber man hat ja eine Abwägung vorzunehmen: Der Lehrer verwendet die Fremdsprache ja nicht umsonst, sondern weil er erkannt hat, daß in einer konkreten Situation das Lernziel besser oder gar nur erreichbar ist, indem er die Fremdsprache verwendet. Wenn er in diese Überlegungen auch Faktoren wie die Gefahr von Interferenzen oder anderen potentiellen längerfristig wirksamen Nachteilen (gäbe es sie denn5) berücksichtigt bzw. sie intuitiv miterfaßt, dann spricht auch so etwas nicht gegen eine entsprechende Verwendung einer Fremdsprache.
Wenn man dem Schüler dies freundlich irgendwie vermitteln kann, hat man aus meiner Sicht zumindest korrekt gehandelt. Und in Anbetracht der bereits angesprochenen Aspekte, die für die Verwendung der Fremdsprache sprechen, sollte man sich daher auch von solchen Schüleräußerungen nicht abhalten lassen, sie auf optimale Weise einzusetzen, wann immer es angezeigt ist.
3. Um der Existenzsicherung willen?
Es ist aus meiner Sicht zu dem Zeitpunkt, in dem ich diesen Artikel verfaßt habe, denkbar, daß es vertretbar sein könnte, um des eigenen Honorares willen einem Schüler, der von sich aus und ausdrücklich wünscht, nur Deutsch zu sprechen, darin entgegenzukommen – nachdem man ihm die Problematik verdeutlicht hat allerdings nur. Warum sollte man – wenn man überzeugt wäre, es mindestens genauso gut wie ein Vertreter des Dogmas oder ein Lehrer mit weniger Bedenken hinzubekommen – dem Schüler diesen Wunsch versagen, wenn er dann doch nur zu einem anderen Lehrer ginge, der ihm stattgäbe? Ich möchte mich da aber nicht endgültig festlegen, zumal auch diese Entscheidung ja vom jeweiligen Einzelfall, abhängt.
Wenn es sich aber um eine Gruppe handelt, in der mindestens einer ist, der nicht dem Dogma folgt, dann wäre es diesem gegenüber unrecht, dem Dogma gemäß zu handeln, wenn man selber dieses nicht ehrlich vertritt. In diesem Falle wäre es ratsam, sicherstellen, daß es zu keinen Friktionen führte, wenn man jedenfalls ihm gegenüber anders handelt. Mit ziemlicher Sicherheit allerdings steht einem dann nämlich eine Beschwerde der anderen, dogmatisch denkenden Schüler ins Haus. Nun kann es sein, daß es umständehalber vielleicht (aus Gründen, die außerhalb des Bereiches des Unterrichts liegen etwa, oder auch weil man bis dahin den Schülern einiges gebracht hat, was sie sonst vielleicht nicht hätten lernen können) gerechtfertigt oder auch nur vertretbar sein könnte, eine solche Gruppe dennoch zu übernehmen. Dies dürfte aber eine Frage des Einzelfalles sein, bei der die Nachteile für alle Beteiligten gegenüber dem eigenen Lebensunterhalt gegenüber aufzuwiegen wären. Dabei mag auch maßgebend sein, welchen Prinzipien man in seinem Leben generell treu bleiben möchte – oder aber, weniger dogmatisch, einfach das, was gerade insgesamt wichtig ist.
Man sollte aber auch überlegen, ob im Falle solcher Konzessionen das Beschränken des „Lehrstromes“ vielleicht generell auf die Wahrnehmung der eigenen Intuition oder den Fluß der eigenen Inspiration (negative?) Auswirkungen haben könnte. Ich sage nicht, daß es so sei, ich habe das nicht näher untersucht, aber vielleicht wäre eine Untersuchung dieser Frage vorsichtshalber angezeigt, bevor man ernsthaft überlegt, hier Konzessionen zu machen.
Zu bedenken ist auch, daß man als Lehrer eine Verantwortung hat: Zum Besten der Schüler zu wirken.
Praktisch gesehen gäbe es noch verschiedene, teilweise bereits angesprochene Kompromisse, auch hier gelten aber die gerade genannten Bedenken, und ich wäre nicht sicher, ob nicht die Dogmatiker auch an ihnen Anstoß nähmen.
II. „Kompromißmöglichkeiten“?
Man kann z. B. Erklärungen, die man sonst etwa auf Englisch gäbe, auf Deutsch an die Tafel (oder im Online-Unterricht in ein Dokument auf dem geteilten Bildschirm) schreiben mit dem Hinweis, man wisse, daß die Schüler das nicht ad hoc verstünden, sie seien jedoch eingeladen, sich das zur Vertiefung je nach Wunsch selbst zu übersetzen oder eben Google Translate oder Deepl zu nehmen. Eine Erläuterung dieses Vorgehens müßte man zumindest beim ersten Mal allerdings vielleicht doch wieder in Sprachen geben, die alle die Schüler verstehen, sonst wäre es ja vergebens.
Es kann auch sein, daß, wenn sich die Schüler in Deutschland befinden und es sich um Schüler, Studenten oder generell jüngere oder jedenfalls jung oder flexible Teilnehmer handelt, die sich ja, wenn sie sogar schon in Deutschland wohnen, schon im deutschen Umfeld befinden, ein Ausschluß anderer Sprachen leichter fiele. Ob aber das auch nur in so einem Falle als Absolutum geraten wäre, bezweifele ich stark.
Für essenziell halte ich es in jedem Falle, zu Anfang (und auch dann, falls neue Schüler dazukommen diesen gegenüber) gewisse Rahmenbedingungen in einer ihnen bereits verständlichen Sprache zu erklären:
Es ist wichtig, daß die Schüler (zumal, wenn der Lehrer nur Deutsch sprechen soll) die Vokabeln im Vorhinein vorbereiten, und es ist auch wichtig für sie zu verstehen, daß sie wiederholen müssen.
Einem absoluten Anfänger kann man das, insbesondere dazu geeignete genauere Strategien, nicht auf Deutsch vermitteln. Es ist aber leider erfahrungsgemäß mitunter nötig: Ich hatte schon einmal einen Schüler, in studentischem Alter, der der Ansicht war, es reiche aus, einfach im Unterricht präsent zu sein (also ohne Vorbereitung, Wiederholen oder Vokabeln zu lernen). Daher erscheint es mir sinnvoll, diese Punkte am Anfang zu klären.
Hier findet sich ein Beispiel für solche Vorabhinweise. [Wobei auch dieses Beispiel zeigt, wie beschneidend ein Verbot, andere Sprachen zu verwenden, sein kann: Denn dadurch werden insbesondere Anfängern tieferschürfende Fragen faktisch unmöglich gemacht.]
Ob man diese Informationen selber den Schülern mitteilt oder, falls man im Auftrag eines anderen, etwa einer Sprachschule unterrichtet, das Sekretariat bittet, dies zu tun, ist an für sich dabei nicht so wichtig. Sollte es bei dem, mit dem man zu tun hat, sich um keinen hundertprozentigen Dogmatiker handeln, wäre auch denkbar, auszuhandeln, sich im Rahmen der ersten Stunde einige Minuten für diese organistorisch-technischen Dinge in einer Sprache nehmen zu dürfen, die allen Schülern gemein ist, oder die Schüler gezielt in ihren jeweiligen Sprachen zu adressieren.
Freilich möchte man sich, wenn man als Lehrer auf die Übernahme des Unterrichtes angewiesen ist, möglicherweise überlegen, wie klug es wäre, dies gegenüber etwa einem Sprachschulbetreiber oder einem anderen Auftrag- oder Arbeitgeber von sich aus zu erwähnen, bevor ein Vertrag geschlossen wurde, denn manche Sprachschulen zum Beispiel denken kurzfristig oder scheuen dennoch solchen Aufwand, und es kann passieren, daß dann ein anderer Lehrer gewählt wird. Auch hier ist natürlich eine Abwägung erforderlich. Aber sollte man wirklich annehmen müssen, daß der potentielle Arbeit- oder Auftraggeber dem Dogma folge und präemptiv darauf reagieren müssen? Bejahen möchte ich das nicht, für jeden Fall verneinen kann ich es aber auch nicht unbedingt, und so bleibt es nur unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren einer Abwägung und / oder der Intuition zu überlassen.
D. Conclusio
Ein Dogma, ausschließlich die gelehrte Sprache verwenden zu dürfen, ist abzulehnen. Kompromisse sind eventuell (!) in Einzelfällen vertretbar, der Preis kann aber u. U. (zu?) hoch sein. Im Einzelfall hat sich ein Lehrer, der nicht dem Dogma anhängt, zu entscheiden, was ihm wichtiger ist: optimalen Unterricht zu bieten und Authentizität zu wahren oder sein Honorar. Im Hinblick auf das letztere wird er seine individuelle Situation berücksichtigen wollen, insbesondere, wenn es zu einer physischen Überlebensfrage wird; zugleich muß er aber auch darauf achten, inwieweit und, falls, welche schicksalsmäßigen bzw. karmischen Konsequenzen seine Entscheidung für ihn haben könnte, selbst wenn es (auch) um seinen Lebensunterhalt geht.
Anmerkungen
(1) Zu den verschiedenen Perspektiven in der Wissenschaft siehe Päivi Munukka: Funktionen und Typen des Code-Switchings im DaF-Unterricht, https://jyx.jyu.fi/bitstream/handle/123456789/11491/URN_NBN_fi_jyu-2006602.pdf?sequence=1, S. 32 ff.
(2) Vgl. Munukka, a. a. O., S. 1, 5.
(3) Ja, man sollte nicht Wikipedia zitieren und ja, da können auch falsche Inhalte darinstehen, aber da das hier mein privates Blog ist und aus purer Bequemlichkeit mache ich das jetzt dennoch einmal: Siehe für Nachweise https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Code-Switching&oldid=222269876.
(4) Dazu Munukka, a. a. O., S. 15 m. N.
(5) Es gibt verschiedene Theorien zum Code Switching im Fremdsprachenunterricht; Nachweise siehe z. B. Daphne Boelhouwer: Code-Switching im DaF-Unterricht. Eine Analyse der Funktionen des Code-Switchings bei Lehrern im DaF-Unterricht in den Niederlanden, https://studenttheses.uu.nl/bitstream/handle/20.500.12932/29648/Bachelorarbeit%20Daphne%20Boelhouwer%200317551.pdf?sequence=2, S. 10 ff. sowie bei Munukka, a. a. O., S. 4 ff. – Es kann ratsam sein, innerhalb ein und derselben Aufgabe möglichst keinen Sprachwechsel vorzunehmen, vgl. Munukka, a. a. O., 70.
Version 1.3 dieses Artikels.