Über die Suche nach Strukturen

Vorbemerkung: Der folgende Artikel bezieht sich auf eine Diskussion, die im Mai 2021 in Deutschland geführt wurde. Ich habe ihn aber bewußt abstrakter gehalten; so mag er auch darüber hinaus Anregungen bieten und eine Warnung sein, die Entwicklung in diesem Bereich bewußt zu beobachten und, soweit angezeigt, sich gegebenenfalls als Lehrer, Elternteil, Influencer, Journalist, Blogger oder in sonstiger Funktion korrigierend einzuschalten.

Wie oben so unten“ – so heißt es schon jedenfalls seit dem Mittelalter. Die Suche nach Strukturen zum Verständnis der Welt ist alt.

Und sie ist sinnvoll.

Denn indem wir schauen und vergleichen, und indem wir Schlüsse ziehen, kann der Intellekt die Welt verstehen.

Aber der Intellekt, er kann uns auch in die Irre führen.

Die schlimmsten Ideologien der Weltgeschichte waren durchaus durchdachte Systeme – allein, die Prämissen waren falsch; und das Herz jener, der sie umsetzten, war oft schwarz, auch wenn sie es verdrängt haben mögen. Wir alle kennen auch das Sprichwort: „Der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.“

Aber beherzigen das auch alle?

Wenn wir uns umschauen in der Welt, dann sehen wir, wie mehr und mehr Menschen mehr oder weniger eloquent ihre Thesen (oder ihre vernommenen Thesen) in sozialen Netzwerken, Zeitungen, Zeitschriften und im Fernsehen verbreiten.

Ja, in dem Hören der anderen erkennen wir leichter, was wir selbst glauben, und wenn wir beides betrachten, kann es uns vielleicht gelingen, uns selber weiterzuentwickeln oder dem anderen zu helfen, in seiner Ansicht dies zu tun.

Wenn wir aber durch Art und Aussage unserer Meinungen eine Barriere zwischen uns und den anderen erreichen – und dies tun wir, wenn wir sie zu etwas abstempeln, was von der Gesellschaft (oder jedenfalls den Medien, die sich  –  jedenfalls idealerweise, solange sie nicht schon der Leitung nach zur Propaganda bestimmt sind – als die Stimme der Wahrheit oder doch das Gewissen der Gesellschaft sehen oder so verstanden werden), dann wird dieser Prozeß verunmöglicht.

Das bedeutet, Meinung steht dann gegen Meinung, und es kommt zum Kampf, aber nicht mehr zu Verstehen, der Grundlage des Friedens, und fruchtvoller Weiterentwicklung.

Dies sehen wir auch im jüngeren politischen Geschehen. Von der durch die Medien und Regierung sowie durch  –  auch jüngere  –  Persönlichkeiten aus Literatur oder Kunst, Umweltschutz und Politik vermittelten (scheinbar oder jedenfalls vorgeblich, teilweise auch tatsächlich) herrschenden Meinung Abweichende werden aus dem Diskurs durch den Vorwurf, sie seien Verschwörungstheoretiker (1), rechtsradikal, Nazis oder Antisemiten (oder vielleicht gleich alles zusammen, weil ja wer das eine sei auch das andere sein „müsse“, so der vermittelte Glauben) ausgegrenzt und so die herrschende Meinung weiter zementiert.

Das tut einer Gesellschaft und der Demokratie und der Wahrheit sowieso nicht gut. Indem mittlerweile versucht wird, den jeweiligen Vorwurf an der bloßen Verwendung von Worten festzumachen (und wenn dann auffällt, daß es noch zu viele  Menschen gibt, die erkennen, daß die Worte allein das nicht immer leisten können, vielleicht noch durch die Verbindung mit „Kontext“ verstärkt, um den Widerspruch auszuhebeln), wird einer Meinungsherrschaft die Bahn geebnet, die es gestattet, jeden in Gefahr zu bringen und gegebenenfalls entsprechend zu handhaben (vorerst nur durch Abqualifizierung und Ausgrenzung –  möge das Heranziehen des Strafrechts zur weiteren Handhabung verhindert werden! – , die das Ende der Meinungsfreiheit bedeuten kann).

Denn selbst wenn sie auf dem Papier noch existiert – wer wollte sich die Konsequenzen antun?

Man nimmt also Wörter, gegebenenfalls auch den Kontext. Mit anderen Worten: Man sucht Strukturen, sagt: Diese semantischen und kontextualen Strukturen finden sich auch da und da (vorzugsweise bei den Rechtsradikalen, die Linksradikalen sind da wohl nicht so die Gegenstände der Untersuchung…), und wenn jemand oder ein Diskurs, an dem jemand beteiligt ist, ähnliche Strukturen verwendet oder aufweist oder sich in ähnlichen Strukturen bewegt, dann, voilá –  ein Rechtsradikaler, Antisemit und Nazi, und Verschwörungstheoretiker (1) ja sowieso.

Natürlich werden die Betroffenen dann lauthals behaupten, kein Rechtsradikaler, kein Antisemit und kein Nazi zu sein. Es werden sich auch oft keinerlei entsprechende Handlungen oder Äußerungen nachweisen lassen – jenseits des Vorwurfes, weil sie dieses und jene Wort verwendeten und dieses und jenes Wort eben auch in diesem und jenem Kontext verwendet würde.

Dann sind wir irgendwann auch wieder soweit, daß jeder, der Wagner hört, ein Nationalsozialist sein müsse. Das ganze läßt sich eigentlich beliebig erweitern. X hat das und das gehört oder gesagt, deshalb bist Du wie X…

Das ist offenkundig falsch.

Aber was sagt uns, daß das falsch ist (wenn wir es denn noch sehen?)?

– Der gesunde Menschenverstand. Aber der ist doch recht schwer zu definieren.

– Unser Empfinden. Wir selber wissen, ob wir ein Antisemit oder Verschwörungstheoretiker sind. Aber mit Sicherheit würde uns dann abgesprochen, daß wir diese Macht hätten, uns noch selber einzuschätzen.

– Die reine Logik. Dies können wir erkennen, wenn wir Beispiele nehmen, die noch nicht zur Unterstützung obengenannter Vorwürfe herangezogen wurden. Nur, weil ich etwa kein Schweinefleisch esse, bin ich noch kein Muslim. Ich esse nämlich überhaupt kein Fleisch, da ich Vegetarier bin. Nur, weil ich Vegetarier bin, bin ich noch nicht grün. Und nur, weil ich gegen Atomkraftwerke bin, bin ich noch nicht für Flight-Shaming.

Natürlich finden sich in bestimmten Gruppen bestimmte Meinungen besonders vertreten. Aber nicht nur und nicht ausschließlich, und das alles einfach zu pauschalisieren ist schlichtweg dumm (oder gezielt bösartig und intentional im Hinblick auf bestimmte Ziele, die dadurch erreicht werden sollen bei der Transformation von Staat und Gesellschaft? Aber allein diese Frage wird einen jetzt wieder der Gefahr des Vorwurfes, man sei ein Verschwörungstheoretiker, aussetzen. Als hätte es nicht von altersher die Möglichkeit längerfristige Politstrategien gegeben…).

Es sollte also allenfalls die Aufgabe präventiver Polizei-, Verfassungsschutz- und Geheimdienstarbeit sein, mit solchen Strukturen zu operieren und diese als ein Kriterium zu nehmen, Prävention zu betreiben. Gleichwohl sollten wir uns auch da fragen, was der Preis wäre, denn auch die Polizisten, Verfassungsschützer und Geheimdienstmitarbeiter sind Menschen, die dem oben beschriebenen Wahn erliegen können. Auch als zunächst legitim eingesetztes Instrumentarium ist eine solche Betrachtung gefährlich – zu gefährlich vielleicht.

Interessant ist denn auch, daß, wenn wir schon bei Strukturen sind, letztlich diejenigen, die jetzt so laut „Antisemit“ – „Verschwörungstheoretiker“ – „Nazi“ schreien im Grunde dasselbe tun, was auch manche (!) „Verschwörungstheoretiker“ und „Rechte“ tun (Wieso ist eigentlich nur immer vom „Kampf gegen rechts“ die Rede? Weil „rechts“ „böse“ und „links“ „gut“ ist?)

Wenn wir uns einmal der Idee hingeben, eine Elite von Menschen regiere die Welt vom Hintergrund aus und teile das der Welt durch Symbole mit, dann werden wir viele Bestätigungen finden. Merkels Raute… Dreiecke… andere Zeichen. Möge der Leser einmal sich in seiner Wohnung umschauen, auf der Straße und in Nachrichtensendungen – wieviele potentielle Zeichen, wieviel „verschwörerisches“ Lächeln, Blinzeln, wieviele Gesten wird es geben, die irgendetwas bedeuten können? Alles kann etwas bedeuten.

Und Strukturen sind natürlich auch immer Hinweise.

Die Frage ist nur, worauf… Darauf, daß eben manche Menschen gerne Rauten formen? Darauf, daß Menschen lächeln? Oder blinzeln? Oder sind es doch die großen Menschheitsverschwörer?

Wenn nun der Verschwörungstheoretiker so denkt (wobei das mit Sicherheit nicht alle tun, es ist nur eine Betrachtung, der sie leicht anheimfallen könnten, aber die Bewußteren tun das nicht), wo ist dann der Unterschied zu jenem, der insinuiert, weil man die Worte „Great Rest“ oder „Globalist“ verwende, sei man schon rechts oder jedenfalls Antisemit?

Der Irrtum ist der gleiche.

Strukturen werden durch den Verstand interpretiert ohne einen Filter, der das ganze richtig einordnet. Man verliert jedes Maß.

Und das tut man, wenn man sich Ideen verschrieben hat, ohne sie auch mit der Wirklichkeit, die einem Herz und Seele zeigen wollen, abgleicht.

Und wenn wir dazu meinen, keinen Zugang zu haben, wie dann? Indem man nach Beweisen sucht, nicht aber Schlüsse, die ja nur intellektuelle Prozesse und Urteile über etwas sind als Beweise nimmt, sondern schaut, was tatsächlich ist. Zugegeben: Dies ist anstrengend. Man muß einen Menschen ganz anschauen. Man muß ihn ganz anhören. Was hat er eigentlich wirklich getan? Wie verhält er sich wirklich?

Würden wir auf den wahren Menschen in uns hören, würden wir uns der Wahrheit bewußt, nicht aber Ideen beschreiben; dann wäre nichts davon nötig, es würde so nicht geschehen.

Besinnen wir uns auf die Wahrheit. Lassen wir sie nicht von Ideen und Interpretationen verdecken.

Die Wahrheit, und nichts als die Wahrheit.

Das bringt eine Gesellschaft voran.

Und jeden Menschen zu sich Selbst.

Anmerkungen

(1) Zur Verwendung des Begriffes als „Kampfbegriff“ s. bereits meine Ausführungen hier.

Veröffentlicht von

A. M.

Autor. Dichter. Coach und Berater. Lehrer. Auch Jurist.

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